Fabrice Müller - Journalist
"Stottern wird in der Gesellschaft oft mit Schwäche, Dummheit und Unsicherheit in Verbindung gebracht" - der schwierige Weg, zum Stottern zu stehen.
Fabrice Müller hat sich öffentlich zu seinem Stottern bekannt.
Wie geht er mit dieser Sprachbehinderung in seinem Beruf als Journalist um?
Über seine Arbeit kannst du dich unter www.journalistenbuero.ch orientieren.
In Kontakt trittst du mit Fabrice Müller unter lexpress[at]bluewin.ch
Fabrice, du arbeitest als frei schaffender Journalist, der oft mit unterschiedlichsten Menschen sprechen muss; empfindest du das Stottern als Behinderung?
Zum Teil ja. Es gibt Tage, an denen bereitet mir das Stottern mehr Mühe als an anderen. Dann empfinde ich mein Stottern als Behinderung, weil es mich während meiner mündlichen Kommunikation mit anderen Menschen dauernd begleitet, sei es konkret mit Blockaden oder einfach nur im Hinterkopf. Ich weiss, es ist da, und deshalb stelle ich meine Kommunikation entsprechend darauf ein. Es gab schon Tage, da mied ich gewisse Telefongespräche - aus Angst, ständig ins Stottern zu kommen. Insofern behindert es mich.
Sind dir Gründe für dein Stottern bekannt?
Man vermutet, dass ein Herzstillstand während einer Operation als Kleinkind bei mir das Stottern ausgelöst hat. Die Zunge fiel mir nach hinten, anschliessend hat das Herz kurz aufgehört zu schlagen. Vererben kann man das Stottern zwar nicht, doch wenn jemand der Eltern ebenfalls Veranlagung zum Stottern hat, ist die Gefahr gross, dass auch das Kind stottert. Meine Mutter stottert ebenfalls, darüber gesprochen haben wir bis jetzt noch nie.
Ob ich mehr oder weniger stottere, hängt sicher zu einem grossen Teil von der momentanen Verfassung ab. Wenn ich gestresst bin, unter Druck stehe, mich ärgern muss oder sonst Probleme habe, stottere ich mehr als in der Entspannung. Bei gewissen Menschen stottere ich mehr als bei anderen. Warum weiss ich auch nicht genau, vielleicht liegt es an möglichen Sympathien oder Unsympathien. Leute, die schnell sprechen, verleiten mich zum hastigen Reden, sie stecken mich an. Dies fördert ebenfalls das Stottern.
Wie reagierst du, wenn du merkst,dass du ins Stottern gerätst?
Meist merke ich das bereits im Voraus, also bevor das entsprechende Wort beginnt. Die einen Stotterer überwinden die Blockade mit sekunden- bis minutenlangem Pressen, andere retten sich mit körperlichen Aktionen wie Augenzwinkern, Kopfzucken, usw. über den Berg; dann gibt es solche, die unsinnige Füllwörter wie also, äh, hm, usw. vor das entsprechende Wort setzen (zu dieser Gruppe zähle ich mich teilweise auch) und schliesslich entwickelten sich einige Stotterer zu Experten der Satzumstellung innert Hundertstelsekunden, wenn sie merken, dass sie beim nächsten Wort oder Satz ins Stottern kommen. Dies ist ebenfalls meine Spezialität. Dabei vergessen alle Stotterer, dass das Stottern nur entsteht, weil sie es verhindern bzw. nicht zeigen wollen. Vermeiden führt zum Stottersymptom.
Hat diese Sprachbehinderung deine Berufslaufbahn beeinflusst?
Ich übe einen Beruf aus, der tagtäglich mit mündlicher Kommunikation zu tun hat. Als Journalist bin ich auf Gespräche mit verschiedensten Menschen angewiesen. Wenn das Stottern meine Laufbahn stark beeinträchtigt hätte, wäre ich wahrscheinlich nicht im Mediensektor gelandet. Ich könnte mir jedoch nicht vorstellen, als Lehrer oder TV-Moderator tätig zu sein. Obwohl ich - sobald ich zum Stottern stehen und es zeigen darf - keine Probleme mehr mit Blockaden habe.
Nun, jeder hat halt irgendwo seine Stärken und Schwächen. In Mathematik bin ich eine Null, dafür liegen mir die Sprachen besser. Stotterer haben ein besonderes Sprach- und Kommunikationsgefühl, sagt man. Wohl deshalb, weil sie sich tagtäglich mit der Sprache auseinandersetzen (müssen oder dürfen). Und schliesslich setzt das schnelle Umstellen von Sätzen eine gewisse Portion an Sprachgefühl voraus, sonst geht das nicht. Ob ich gerade zum Trotz Journalist geworden bin, kann ich nicht so einfach beantworten. Bewusst eher nicht, unbewusst vielleicht schon. Allerdings hätte ich dann wohl eher Lehrer oder Radio-Moderator werden sollen.
Hast du negative Reaktionen von Mitmenschen erlebt?
Eigentlich nicht, da ich ja bisher nie offiziell zu meinem Stottern stand und es stets irgendwie mit Mogeln und Vermeiden nicht gezeigt habe. Es gab jedoch sicher Situationen, in denen ich auf meine Gesprächspartner für einen kurzen Moment seltsam wirkte, weil ich abgehackt oder kompliziert sprach, die Sätze umstellte oder Füllwörter einfügte. Dann spürt man die Blicke, die auf einen gerichtet sind. Doch noch viel mehr spürt man das Stottern selber, dieses Gefühl der Enge, des Blockiertseins - des Versagens.
Meine Freundin habe ich erst nach sieben jähriger Bekanntschaft auf mein Stottern angesprochen; sie hat gesagt, ihr sei zwar schon ab und zu aufgefallen, dass ich während eines Satzes manchmal stocke oder blockiert sei. Als Stottern habe sie es jedoch nie wahr genommen. Diesbezüglich ist meine Taktik des Vermeidens aufgegangen, jedenfalls auf den ersten Blick. Ich muss noch sagen, dass wir Stotterer unser Sprechproblem meistens viel schlimmer empfinden als andere. Ist ja auch logisch.
Während der Rekrutenschule ist mir mein Stottern ziemlich zur Last geworden. Früher war es - so glaube ich mich noch zu erinnern - weniger störend. Doch als ich im Militär war (ich bin natürlich ein absolut begeisterter Militarist, oh ja...!!!), hatte ich häufige Blockaden. Besonders, als ich mich bei Vorgesetzten anmelden musste (zuerst sagt man den Rang des Vorgesetzten, dann den eigenen zusammen mit dem Namen, dann den Rest), musste ich mich oft winden und mogeln, damit ich nicht irgendwo hängen blieb. Hinzu kommt, dass im Militär alles ziemlich streng ist; in der Achtungsstellung ist der Körper angespannt - beste Voraussetzungen für das Stottern.
Wirklich ausgelacht wurde ich jedoch nie - eben, weil ich es meist verstecken konnte. Früher hatte ich jedoch noch andere Probleme mit der Sprache: Ich habe zum Beispiel gelispelt - in der Logopädie konnte ich mir das dann zum Glück abgewöhnen. Ich glaube, deswegen wurde ich schon mal ausgelacht oder nachgeahmt, aber nicht oft. Ich hatte eigentlich ein gutes Verhältnis zu meinen Klassenkameraden.
Inwiefern ist es für dich persönlich wichtig, dich öffentlich als "Stotterer" zu "outen"?
Das mit dem "Outen" ist so eine Sache. Ich zeige mein Stottern bislang nur zaghaft in der Öffentlichkeit, vor allem gegenüber meiner Freundin und meinen Eltern, sowie in der Therapiegruppe. Ansonsten befinde ich mich immer noch auf dem Weg. Manchmal wage ich ein lockeres Stottern; das hilft mir, Blockaden ohne Probleme zu überwinden. Dieses Outen ist das ein und alles für mich, der Schlüssel zum stress- und stotterfreien Sprechen. Obwohl die Öffentlichkeit meist unspektakulär und verständnisvoll auf ein solches Outen reagiert, bereitet es uns Stotterern meist grosse Mühe. Denn Stottern wird besonders in Filmen immer wieder mit Dummheit und Unsicherheit in Verbindung gebracht.
Wie hast du konkret an dir gearbeitet?
Ich stehe seit etwa zwei Jahren in regelmässigem Kontakt mit einer Logopädin aus der Region Basel. Sie arbeitet nach einer Therapieform, die in der Schweiz noch nicht sehr verbreitet ist, in Deutschland und Holland jedoch bereits an zahlreichen Orten angewandt wird. Es geht darum, das Stottern nicht zu vermeiden, sondern mit einem lo-lockeren Stottern und mehreren Techniken eine flüssige Kommunikation zu erreichen. Das Stottern wird enttabuisiert, die Betroffenen müssen sich nicht mehr hinter unnatürlichen und unbefriedigenden Techniken verstecken. In diesem Sinne arbeitete ich tagtäglich an mir, vor allem im psychischen Bereich, in dem ich mir immer wieder bewusst werden muss, dass ich mein Stottern zeigen darf. Zudem treffe ich mich regelmässig mit anderen Betroffenen und der Logopädin zum Gespräch und für das Einüben der verschiedenen Techniken.
An deinem Arbeitsplatz steht ein Schlagzeug. Welche Funktion hat dies für dich?
Es war schon immer mein Traum, Schlagzeug zu spielen. Diesen Traum habe ich mir (endlich!) vor eineinhalb Jahren erfüllt. Mit dem Stottern hat es eher weniger zu tun, das Schlagzeug gibt mir die Möglichkeit, abzuschalten und in eine andere Welt einzutauchen.
Musik zu machen kann vielleicht beruhigend sein, doch ich kann ja nicht die ganze Zeit musizieren oder Musik hören. Musiktherapie kann höchstens eine Ergänzung zur Stottertherapie sein. Entspannung ist eben nur eine Komponente des Stotterns, da gibt es auch die psychische (ich will nicht stottern!) und die physische (Technik, Zungeneinsatz, Lippen, Zwerchfell, Atmung, Muskeln im Mund, usw.).
Viele Leute glauben, Stotternde sollten doch einfach möglichst viel singen, dann würden sie nicht mehr stottern, da man bekanntlich man beim Singen nicht stottert.... Aber sollen wir beim Bäcker unsere Brötchen singend bestellen? Singen mag gut sein für das Gemüt und die Gesundheit, auf das Stottern selber hat es keinen Einfluss.
Was rätst du Menschen, die ebenfalls stottern?
Das Wichtigste ist, das Stottern nicht mehr zu verstecken, sondern dazu zu stehen, auch wenn es vielen schwer fällt. Ich kann nur empfehlen, Kontakt zu anderen Stotterern aufzunehmen; plötzlich steht man mit dem Stottern nicht mehr alleine da, dies ist vor allem psychisch eine grosse Hilfe. Sobald Stotternde merken, dass sie zu Sklaven ihres eigenen Stotterns werden, sollten sie etwas dagegen unternehmen. Es gibt verschiedene Therapiearten, die Wunderlösung gibt es allerdings nicht, auch wenn dies von gewissen Geistheilern immer wieder behauptet wird. Am besten eignen sich Therapien, die auf mehreren Stufen arbeiten, also auf der mentalen, physischen wie auch atmungstechnischen. Sollte sich nach einer Therapie das Stottern für einige Zeit aus "dem Staub gemacht haben", darf man sich zwar darüber freuen, doch sollte man weiterhin an sich arbeiten, denn früher oder später kommt es wieder, das Stottergefühl.
Vielen Dank für dieses ausführliche und offene Gespräch, Fabrice! Weiterhin viel Mut und Kraft und besten Erfolg als Journalist!
Im "Schweizerischen Beobachter" 12/2000 ist folgender interessanter Artikel zum Thema Stottern von Fabrice Müller erschienen: Wenn Stottern das ganze Leben prägt
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Reportage von Fabrice Müller zur Schulischen Integration
Jugendbuch zum Thema Stottern: Tor Seidler: "Das Geheimnis der Luft"</cite>
Interview Christine Fischer<cite>file:///C:/Dokumente</cite>