Pilotprojekt für stotternde Kinder und Jugendliche

"Lieber stotternd reden, als fliessend schweigen"

In Allschwil wurde im Jahr 2000 das Pilotprojekts"Stokokö" für stotternde Kinder und Jugendliche aus dem Kanton Baselland sowie dem Fricktal erfolgreich abgeschlossen. Stottern nicht vermeiden, aber kontrollieren können, lautet das Motto. Diese neuen Ansätze bedeuten einen Wendepunkt in der Stottertherapie.

Acht Kinder und Jugendliche im Alter zwischen acht und fünfzehn Jahren aus dem Baselland und dem Fricktal arbeiten seit einem Jahr zusammen mit vier Logopädinnen aus dem Raum Nordwestschweiz an ihrer Sprechstörung - dem Stottern. Das Pilotprojekt steht unter dem Motto"Stokokö": Stottern kontrollieren können."Wir befassen uns seit längerer Zeit intensiv mit dem Thema Stottern. Nach mehreren Fortbildungskursen über stationäre Intensivtherapien für Stotternde - unter anderem beim Therapeuten Holger Prüss in Bonn - haben wir uns entschieden, sein Konzept für stotternde Kinder aus unseren logopädischen Ambulatorien zu adaptieren", umschreibt, Rachel Sobol vom logopädischen Dienst Waldenburgertal, das neuartige Projekt.


Selbstbewusst über das Stottern sprechen

Das Stottern der teilnehmenden Kinder und Jugendlichen hat unterschiedliche Ausprägungen. Den einen merkte man auf den ersten Blick nichts an, andere waren schweigsam und zurückgezogen, wie zum Beispiel der 15jährige Christoph (siehe unten stehender Erlebnisbericht). Angefangen hat alles mit einer Einstiegswoche im Februar letzten Jahres. Danach sah das Projekt regelmässige Einzeltherapien sowie drei Wochenenden über ein Jahr verteilt vor. Ziele dieses Pilotprojekts sind die Identifikation des eigenen Stotterns, das Erarbeiten der verschiedenen Kontrolltechniken, Entspannungstraining - und das alles in der Gruppe."Das Kind soll die Möglichkeit erhalten, sein spezifisches Stottern genau kennenzulernen und zu verändern. Dazu braucht es Übungsphasen im geschützten Therapieraum mit anschliessender Umsetzung in der Praxis, zum Beispiel beim Einkaufen, Umfragen durchführen, usw. Dadurch erhält der Schüler das Vertrauen, sprachlich anspruchsvolle Anforderungen zu bewältigen." In der darauf folgenden Auswertung wurde das Geschehen verarbeitet, allfällige Misserfolge aufgefangen. Die Teilnehmer sollen weiter lernen, über das eigene Stottern selbstbewusst sprechen zu können. Zum Beispiel, indem sie ihre Schulklasse über die Intensivwoche informieren.

Mit Angst und Schamgefühl verbunden

Stottern ist eine Störung im Zusammenspiel von Atmung, Stimme und Aussprache. Woher es kommt, lässt sich nicht eindeutig sagen. Einig sind sich die meisten Fachleute, dass es nicht nur eine Ursache hat. Meistens entsteht diese Sprechstörung im Alter zwischen drei und fünf Jahren. Stottern ist häufig mit Angst und Schamgefühl verbunden. Stottern wird in der Gesellschaft gerne als Tabuthema behandelt. "Man hatte Angst, dieses Leiden überhaupt anzusprechen und hofft, es verliere sich von selbst", erzählt Sobol. Dass das Stottern jedoch zur Persönlichkeit jedes einzelnen gehört, daran denkt man nicht. Die Betroffenen sehen sich dem Druck ausgesetzt, ja nicht zu stottern. Folglich schweigen sie lieber. Von dieser Einstellung muss man wegkommen. Die Logopädinnen des Stokokö-Projekts betrachtet die neuen Ansätze - die vor allem aus dem ango-amerikanischen Raum kommen - als eine Art "Revolution" in der Stottertherapie. Gearbeitet wird mit der Enttabuisierung der Sprechstörung, Angstabbau sowie mit verschiedenen Sprech- und Stotterkontrolltechniken, die helfen, bei Bedarf über das Stottern hinwegzuhelfen. "Stottern ist in erster Linie das, was man tut, um nicht zu stottern." -"Du hast vielleicht nicht die Wahl, ob Du stotterst, aber Du kannst wählen, wie Du stotterst." -"Lieber stotternd reden als fliessend schweigen." Dies sind die Schlagworte der neuen"Nicht-vermeidungs-Therapieansätze", nach denen in Pilotprojekt in Allschwil gearbeitet wurde.

Keine Wunderheilungen

Zwei Videokameras standen damals in Allschwil im Einsatz. Mit ihnen wurden von den Kindern gespielte Theaterszenen und Sprechübungen aufgezeichnet und dann gemeinsam auf dem Bildschirm analysiert. Es herrschte eine entspannte Atmosphäre."Es ist erstaunlich, wie die Kinder ihr Stottern empfinden, wie sie über ihre Gefühl reden können. Sie gehen schon viel lockerer mit ihrem Stottern um", berichtet Sobo. Die Kinder sollen wieder Vertrauen in sich gewinnen und die nötigen Impulse von den Logopädinnen erhalten."Jedes Stottern ist das, was man daraus gemacht hat. Wir müssen deshalb eine gewisse Entwicklung des Kindes akzeptieren. Wunderheilungen gibt es keine, aber das, was die Betroffenen aus ihrem Leiden machen, grenzt oft an ein Wunder."

Informationen: Stokokö, Gaby Wespisser, Logopädin, Mühlenberg 5, 4052 Basel. Tel. 061 272 58 27, Internet: www.stokokoe.ch



Erlebnisbericht des 15jährigen Christoph

"....dann würde ich am liebsten aufstehen und aus dem Zimmer gehen"

Der 15jährige Christoph ist einer der Teilnehmer des Pilotprojekt "Stokokö" für stotternde Kinder und Jugendliche. Im folgenden Text erzählt er selber, wie er sein Stottern erlebt und damit umgeht.

Wenn man ein Stotterer ist, hat man viele Nachteile. Zum Beispiel bei der Berufswahl oder sonstigen Sachen wie Telefonieren, Aufstrecken in der Schule und allen anderen Sachen, die mit Sprechen zu tun haben. Die Folge ist, dass man alles die Eltern machen lässt und dass man sich immer mehr zurückzieht. Aber genau dies sollte man nicht tun, da dies das Stottern nur noch mehr verschlimmert und man immer noch mehr Mühe mit diesen Sachen bekommt. Es gibt auch einige Vorteile, wenn man stottert: Man wird weniger aufgefordert in der Schule. Manchmal finde ich das gut, den wenn man in einem Stotterblock drinnen ist, ist das sehr anstrengend, obwohl vielleicht andere glauben, dass ich wieder mal nur nichts sagen will.

Manchmal geht gar nichts mehr

Wenn ich merke, dass das Wort wirklich nicht herauskommt, würde ich am liebsten aufstehen und aus dem Zimmer gehen. Ich hoffe auch manchmal, dass der Lehrer möglichst schnell weitermacht. Manchmal kann ich besser sprechen, manchmal geht aber auch gar nichts mehr. Das ist dann ein Rückfall. Der tritt ein, wenn man zum Beispiel die Übungen mehrere Tage nicht mehr gemacht hat, oder wenn man sonst Probleme hat. Solche Phasen dauern zwischen einigen Tagen bis einen Monat und länger. Die im Stokokö-Projekt gelehrten Techniken kann ich nicht immer gleich gut anwenden. Da nützt auch der wwweiche Stimmeinsatz nichts, oder das lo, lo, locker Stottern. Diese Techniken kann ich bisher nur in entspannten Situationen anwenden, also nicht in der Schule. Dieses Projekt hat für mich selber viel gebracht. Ich habe gelernt, kontrolliert zu stottern. Ich hatte auch schon vorher immer verschiedene Therapien besucht, doch diese hier war die einzige, die mir wirklich was brachte.

Mehr Mut haben, Leute anzusprechen

Ich habe gemerkt, dass ich mein Stottern mit nur einer Therapie pro Woche nicht genügend verringern kann. Deshalb entschloss ich mich, im nächsten halben Jahr intensiv an meinem Stottern zu arbeiten. Dazu gehe ich nach St. Gallen an eine spezielle Schule für Stotterer. Diese Schule ist in der Schweiz einmalig. Nach dieser Intensivtherapie wird mein Stottern zwar nicht ganz weg sein. Aber es wird bestimmt besser sein, und ich werden wahrscheinlich auch mehr Mut haben, Leute anzusprechen. Dies kann ich gut gebrauchen, weil ich bald einmal eine Lehrstelle suchen muss. Zum Schluss möchte ich noch etwas darüber erzählen, wie man sich bei einem Stotterer am besten verhält: Man sollte ihn möglichst wie alle anderen behandeln und nicht wegschauen oder das Wort, an dem er hängt, zu Ende sprechen.



Jugendliche Stotterer gesucht!

Die Logopädinnen des Stokokö-Projekts in der Region Basel suchen stotternde Jugendliche, die sich mit anderen ihres Alters zu einer Gruppe zusammenschliessen und von den Therapeutinnen betreut werden wollen. Weitere Informationen erteilt: Stokokö, Rachel Sobol, Friedrichstrasse 6, 4055 Basel. Tel. 061 301 16 25.
Internet: www.stokokoe.ch

Text: Fabrice Müller

Weitere Infos zum Stottern:
www.versta.ch