Peter Jaeggi - Radioredaktor

«Oft sind Menschen mit einem schweren Gebrechen die sensibleren Wesen, haben feinere Antennen für das, was um sie vorgeht.»

Peter Jaeggi im Gespräch mit Mutter Teresa zur Situation der Lepra-Kranken in Indien - ungefähr ein Jahr vor ihrem Tod -Foto: Hugo Jaeggi

Peter Jaeggi arbeitet als freischaffender Autor, Fotograf und Mitarbeiter von Schweizer Radio DRS für diverse nationale und internationale Medien.

Was bringt ihn dazu, sich mit sozial Benachteiligten auseinander zu setzen?

 

 

Peter Jaeggi, die Themen Ihrer Arbeiten haben meist sozialen Charakter und drehen sich oft um Benachteiligte. Was sind Sie für ein Mensch?

 

Vielleicht einer, der privilegiert ist und das tun darf und kann, was ihm wichtig erscheint. Mich interessieren die Ränder mehr als das mitten drin Sein. Der Rand, das kann Aufbruch, aber auch Absturz bedeuten. Ein Spannungsfeld, in dem ich mehr über den Menschen und das Menschsein erfahre als im Mainstream. Deswegen diese Themen und deswegen sind sie so ungeheuer spannend für mich und deswegen suche ich diese Themen immer wieder. Oder suchen sie mich?

 

Sie sind weltweit gereist, haben u.a. Features über Tschernobyl- und durch Agent Orange verkrüppelte Spätfolgeopfer, Lepra- und Kriegsgeschädigte gemacht - können Sie nachts noch schlafen?

 

Warum auch nicht? Auch das eine spannende Erfahrung: das vermeintlich Unnahbare - ein entstelltes Gesicht vielleicht, wird fassbar, wird menschlich, wenn man darauf zu geht. Oft sind Menschen mit einem schweren Gebrechen die sensibleren Wesen, haben feinere Antennen für das, was um sie vorgeht.

Sie haben vieles erlebt, das einem - normalen - Bürger vorenthalten bleibt; inwiefern hat dies Ihr Leben geprägt?

Unterwegs bin ich in viele abenteuerliche Situationen geraten, die mir immer wieder bewusst machten, wie kostbar und einmalig das Leben ist. Ich denke auch, dass die vielen Begegnungen mit den unterschiedlichsten Menschen Spuren hinterlassen haben. Ich glaube, dass mein Sinn für Gerechtigkeit geschärft worden ist. Dass ich je länger je mehr kompromissloser werde. Ich wähle auch meine Themen bewusster aus als früher und überlege mir heute genau, wofür ich meine Energie und meine Zeit investiere.

 

Was empfinden Sie, wenn Sie z.B. in Vietnam mit missgebildeten Menschen sprechen?

 

Womit ich stets Mühe habe - und das liegt wohl an meinem Charakter, sind Begegnungen mit schwerst behinderten Menschen, bei denen keine verbale Kommunikation möglich ist. Da stosse ich schnell an Grenzen und werde hilflos. Manchmal gibt es auch Momente, in denen ich mich zuerst und ziemlich lange an mein Gegenüber gewöhnen muss. So in Vietnam, als wir eine Mutter interviewten mit zwei Kindern mit sehr starken Missbildungen. Ein Kind hatte einen verbogenen Schädel. Es dauerte eine ganze Weile, bis eine Annäherung möglich wurde.

 

Was bezwecken Sie mit Ihren Reportagen, die meist tief gehen und betroffen machen?

 

Genau dies: dass das Thema tief geht, betroffen macht. Aber manchmal fürchte ich, dass es über die Betroffenheit nicht hinaus gehen könnte. Es müsste ein nächster Schritt folgen: das Tun. Betroffenheit allein hilft keinem.

 

Glauben Sie, mit dieser Art von Journalismus die Welt verändern zu können?

 

Natürlich lässt sich damit die Welt nicht verändern. Aber vielleicht ein Weltlein, vielleicht ein kleines Mosaiksteinchen in einem Ganzen, an dem noch viele andere und mit anderen Ansätzen arbeiten. Ich sehe mich da als Teil. Ich versuche einfach, Missstände aufzudecken, dahinter zu sehen, Zusammenhänge zu zeigen - in der Hoffnung, dass Leserinnen und Leser, Hörerinnen und Hörer etwas in ihrem Herzen und im Kopf mitnehmen, das vielleicht eines Tages zum Handeln führen wird.

 

Wie reagieren die Menschen auf Ihre Arbeit?

 

Meist sind die Reaktionen recht positiv, was für mich motivierend wirkt. Am meisten freut es mich jedoch, wenn es ganz konkrete Auswirkungen dieser Medienarbeiten gibt. Wenn zum Beispiel ein Grossratspräsident im Parlament einen Antrag auf Vietnamhilfe stellt, nachdem er die Ausstellung über die Spätfolgen von Agent Orange gesehen hatte. (Das dioxinhaltige Agent Orange wurde von den USA im Vietnamkrieg als Pflanzenvernichtungsmittel eingesetzt. Als Folge davon kommen noch heute behinderte Kinder zu Welt.) Ähnliches geschah damals bei der Ausstellung über die Tschernobyl-Folgen in Weissrussland. Eine grosse Enttäuschung war bestimmt, dass wir sowohl Buch als auch Ausstellung über Tschernobyl für unseren Auftritt in Weissrussland zensurieren mussten. Wir übten darin auch (leise) Kritik an Staatspräsident Lukaschenko, der ja in Belarus illegal an der Macht ist. Auf Druck des belarussischen Staates mussten wir im Buch einige Bilder weglassen. Darunter ein Bild eines kritischen Chefredaktors in Minsk und eines, das Lukaschenko zeigt, wie er auf einem Plakat an einer Demo mitgetragen wurde. Auch im Text mussten wir Konzessionen machen und z.B. den Bericht über das Verbot einer Zeitung weglassen. Wären wir nicht darauf eingestiegen, hätten wir weder Ausstellung noch Buch in Belarus zeigen können. Das wollten wir nicht. Vor allem auch unseren weissrussischen Partnern zuliebe, die ebenfalls sehr viel Energie in das Projekt gesteckt hatten. Ihnen zuliebe stiegen wir auch in der schweizerischen Buchauflage auf eine Zensur ein. Wir hatten in Belarus lernen müssen, dass Regimekritiker oft gnadenlos verfolgt und nicht selten spitalreif geschlagen werden. Diesem Risiko hätten wir unsere Partner ausgesetzt.      Es ist schlimm zu erfahren, dass die eiserne Hand eines totalitären Regimes bis hierher reichen kann.

Negative Reaktionen auf meine Arbeiten gibt es selten. Ein wenig enttäuschend ist jedoch, dass so genannt engagierte Themen im Nachmittagsprogramm von Schweizer Radio DRS kaum mehr Platz haben. Ich hörte immer wieder den Vorwurf, meine Themen seien zu anspruchsvoll für die nachmittägliche Hörerschaft. Das schmerzt. Weil ich der Überzeugung bin, dass das nicht stimmt und dass man da ''die'' Hörer für dumm verkauft.

 

Eines Ihrer Projekte widmete sich dem Tauchen mit blinden Menschen im Roten Meer. Tauchen Sie selber?

 

Ja, ich tauche seit über 20 Jahren und Tauchthemen sind sozusagen das Dessert unter meinen Arbeiten, weil ich hier auf ideale Weise Beruf und Hobby verbinden kann. Bereits vor vielen Jahren erfuhr ich, dass blinde Menschen tauchen und es reizte mich, dies publizistisch darzustellen. Vor allem darum, weil behinderte Menschen meist an nicht behinderten Menschen scheitern, die sagen: Das kannst du nicht und jenes kannst du nicht!

 

Haben Sie Ideen für weitere Projekte, die Sie verwirklichen möchten?

 

Oh, noch sehr viele! Derzeit breite ich eine grössere Arbeit vor über Menschen, die unfall- oder krankheitsbedingt zu Behinderten wurden. Was läuft da ab, wenn man nachher nichts mehr kann, was vorher möglich war? Wie etwa lernt man einen neuen Lebenssinn? Ein neues Leben sozusagen? – Zudem komme ich eben von einer mehrwöchigen Recherchenreise durch Indien zurück. Dort begab ich mich auf die Spuren der heiligen Kühe. Auch ihnen geht es nicht so gut. Dann arbeite ich nach wie vor an Berichten über den Orang-Utan auf Borneo und Sumatra und verzweifle oft fast daran, da sie kaum noch eine Überlebenschance haben, weil man ihnen die Regenwälder - ihre Heimat -wegholzt.

 

Vielen Dank für das interessante Gespräch. Ich wünsche Ihnen viel Spass, Befriedigung und besten Erfolg für Ihre weiteren Projekte.

 

Interview Christine Fischer, 2001/2008

 



Radiosendungen von Peter Jaeggi

 Website mit aktuellen Infos: www.peterjaeggi.ch


"Schritte im Kopf"

Doppelpunkt, 18.9.08

Wer nach einem Unfall oder einer Krankheit für den Rest des Lebens behindert ist, muss akzeptieren, dass einst Selbstverständliches nicht mehr möglich ist. Wie gehen Betroffene damit um?

Es geht um nichts Schwierigeres als um das Lernen eines anderen Lebens. Es beginnt mit Schritten im Kopf. So manche möchten aussteigen - für immer. Wie lernt man ein anderes Leben, ohne daran zu zerbrechen? Was hilft, was hindert?

Fünf querschnittgelähmte und hirnverletzte Menschen erzählen darüber. Es sind Wegbeschreibungen, die manchmal schwer zu ertragen sind. Eine Geschichte über Abschied und Neuanfang.

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 "Der Sonnenflieger: Betrand Piccards "Solarimpulse""

Doppelpunkt vom  17.7.2008

Ohne einen Tropfen Treibstoff rund um den Globus fliegen. An diesem ehrgeizigen Ziel arbeitet der Abenteurer Bertrand Piccard.

Mit dem 1,5 Tonnen leichten Solarflugzeug «Solarimpulse», das die Flügelspannweite einer grossen Passagiermaschine hat, will er 2011 seinen Traum erfüllen.

Mit der «Solarimpulse» will Piccard die Menschen aus festgefahrenen Denkschemen herausfliegen. Er versteht sein Projekt primär als Motivationsschub zur Weiterentwicklung alternativer Energien. Kürzlich ist er seinem Ziel ein Stück näher gekommen.

25 Stunden lang testeten er und sein Co-Pilot André Borschberg in einem eigens von der ETH entwickelten Simulator, wie es sein könnte. Peter Jaeggi war dabei, sprach mit den Piloten, mit Ingenieuren, dem Chef-Meteorologen und mit den Hauptsponsoren dieses 100-Millionen-Franken-Unternehmens.

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Der Tanz des Tigers

Doppelpunkt vom 7.5.09

Bei uns sind es Wolf und Bär, in Indien ist es der Tiger, der im Konflikt mit dem Menschen steht. Der Tiger, Indiens stolzes Nationaltier, kämpft ums Überleben. Jahrelang haben die Behörden beschönigt und Statistiken gefälscht. Heute spricht man von nur noch 1400 Tieren, die in Nationalparks leben.

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  • Dazu passend Artikel von Peter Jaeggi in der WOZ vom 25.06.2009

Tiger versus Ureinwohner «In zwei Wochen müsst ihr weg sein»


Wo begann die Demokratie der Schweiz?

Doppelpunkt vom 30.7.2009

Auf der Suche nach dieser Frage stösst man bald schon auf die Alpgemeinschaften früherer Zeiten.

Alpenleben bedeutete früher oft alles andere als idyllisches und friedliches Zusammenleben. Friede liess sich nur erreichen, wenn man sich zusammenraufte und gemeinsam Regeln fand.

Die meist kleinräumigen Alpen wurden und werden noch heute häufig von verschiedenen Parteien genutzt. Interessenkonflikte und Grenzstreitigkeiten führten nicht selten zu blutigen Auseinandersetzungen.

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